Übersetzung eines Interviews mit Kai Rosenkranz, das RPGCodex.com in zwei Teilen am 03. Mai und am 19. Mai 2006 veröffentlichte.
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RPGCodex:
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Laß uns am Anfang beginnen. Wie bewertest du die ersten beiden Gothic-Spiele und die Erweiterung? Was siehst du als Stärken, die auszubauen sind und was als zu verbessernde Schwächen?
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KaiRo: |
Die Gothic-Serie hat sich entwickelt. Seit wir 1997 starteten, haben wir die Gothic-Spiele kontinuierlich verbessert und viele der schwachen Punkte des ersten Teils ausgemerzt. Das originale Gothic 1 begründete eine überzeugende Atmosphäre, die das typische "look & feel" der Serie wurde. Obwohl all die vorherigen Titel der Gothic-Serie sehr unterschiedlich in Stimmung und Szenario waren, versuchten wir, die freche Derbheit und Kaltschnäuzigkeit der Welt und ihrer Bewohner aufrechtzuerhalten. Eines der wichtigsten Merkmale aller Gothic-Spiele ist die realitätsnahe Spielwelt und das realistische Verhalten von Menschen und Tieren.
Um in der Lage zu sein, die Schwächen zu entfernen, mußten wir genau darauf achten, was die Spieler mochten oder nicht mochten. In enger Zusammenarbeit mit der Community erkannten wir die schlimmsten Fehltritte (so wie das unverständliche Interface oder der allmähliche Spannungsschwund in den späteren Kapiteln) und haben sie einer gründlichen Überarbeitung unterzogen. Natürlich hat jedes der Gothic-Spiele seine eigenen Stärken und Schwächen und mit jedem neuen Teil finden neue Schnitzer ihren Weg ins Design ;). Aber andererseits entschädigen innovative Merkmale und realitätsnahe Spielwelten für diese geringen Ärgernisse und das allgemeine Spielerlebnis stellt die meisten Spieler zufrieden. |
RPGCodex:
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Es scheint, daß Piranha Bytes die einstmals leichten RPG-Elemente mit jedem Spiel ausgestaltet und weiterentwickelt. Warum der Focus auf Rollenspiel?
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KaiRo:
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Eigentlich haben wir die Tiefe der RPG-Elemente nicht allzusehr geändert. In einigen Fällen hatten wir neue numerische Werte hinzuzufügen, um in der Lage zu sein, neue Gameplay-Elemente verwirklichen zu können, aber alles in allem blieb die leichte Zugänglichkeit und die Betonung des Charakters (nicht der Zahlen) unverändert.
Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben die Bedienung der Gothic-Spiele einfacher gemacht, um sie für unerfahrene RPG-Spieler zugänglich zu machen. Tatsächlich sehen wir die Gothic-Spiele nicht als RPG im engeren Sinne. Wir halten sie eher für Fantasy-Action-Adventures mit gewissen Rollenspiel-Anreicherungen.
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RPGCodex:
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Da wir von Rollenspiel sprechen, was verstehst du unter dem Begriff RPG? Welche Eigenschaften oder Design-Elemente sind für dich in einem RPG wichtig und warum?
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KaiRo: |
"Rollenspiel" bedeutet eigentlich in die Rolle eines anderen Charakters zu schlüpfen und zu schauspielern und sich dementsprechend zu verhalten. Ein Spiel, daß den Schwerpunkt auf Rollenspiel legt, muß in der Lage sein, die Spieler denken zu lassen "Wenn ich er wäre, was würde ich als Nächstes tun und wie würde ich das Problem lösen?" und - natürlich - die Freiheit bieten, ihre Ideen zu verwirklichen. Die meisten RPG beinhalten eine Charakter-Generierung, die erlaubt, den Protagonisten bis zu einem gewissen Grad zu gestalten und zu formen. In dieser Hinsicht gehen wir unseren eigenen Weg und nageln den Spieler auf einen Charakter, unseren namenlosen Helden, fest. Deshalb sind wir in der Lage, diese Geschichte zu erzählen und großen Aufwand darin zu legen, wie der Held dargestellt wird. Die Spieler haben immernoch große Freiheiten darin, exakt das zu tun, was sie möchten und die Charakter-Entwicklung im Zuge des Abenteuers zu beeinflussen. Abseits von diesem enormen Grad an Freiheit benötigt ein RPG eine fesselnde Geschichte um lebendig zu werden. In einem First-Person-Shooter zum Beispiel benötigt ein NPC keine Vergangenheit und eine anspruchsvolle Simulation menschlicher Beziehungen ab ihrem Erscheinen ist gewöhnlich kürzer als zehn Sekunden. Ein RPG benötigt all dies für eine Erweiterung, größer als in jedem anderen Genre. |
RPGCodex:
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Die Orks haben also gewonnen und du hast die Wahl: den Menschen zu helfen, sich auf die Seite der Orks zu schlagen oder in der Mitte dazwischen zu bleiben. Reden wir lediglich über ein paar unterschiedliche Quests oder kann man wirklich große Teile des Spiels zum Beispiel nach orkischen Regeln spielen?
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KaiRo:
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Ja, das ist eines der Dinge, die der Spieler tun kann, sobald er mit den Orks verbündet ist. Der erste notwendige Schritt ist es, in ihrer Wertschätzung zu steigen. In einigen belagerten Enklaven führen die Orks zu ihrem Vergnügen Arenakämpfe durch. Der Spieler kann diese Gelegenheit nutzen, um zu beweisen, daß er es wert ist, einer von ihnen zu werden und hier gibt es spezielle Missionen, die er für die Orks durchführen kann.
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RPGCodex:
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Die Skills wurden durch eine gewaltige Anzahl von Minitalenten ersetzt, die man nutzen kann um die eigenen Talente zu gestalten, was immer das heißt. Wie funktioniert das? Kannst du uns ein paar Beispiele geben? Außerdem, warum Minitalente anstatt eher traditionelle Skills? Was ist der Vorteil?
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KaiRo:
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Wie es durch die vorherigen Antworten deutlich wird, ist die Freiheit der Aktionen eines der Hauptmerkmale in allen Gothic-Spielen. Doch bezüglich der Skills war die einzige Freiheit die der Spieler bis jetzt hatte, eine Hand voll auszuwählen und ihre numerischen Werte bis 100% zu steigern (oder höher). Die Freiheit in Gothic 3 geht weit über diesen Punkt hinaus. Um eine größere Vielfalt zu erreichen, haben wir die Minitalente, so genannte Perks, eingeführt. Anstatt zuzuschauen wie eine Zahl mit jedem investierten Lernpunkt steigt, kann der Spieler wirklich entscheiden, was er genau lernen will. Einhandschwertkampf ist der grundlegende Perk, den er braucht, um ein Schwert tragen zu können, ohne sich dabei aus Versehen selbst umzubringen. Dieses Talent kann ausgebaut werden durch Perks wie Schnelle Attacke, Extraschaden gegen Orks, Powerattacke, Zwei Schwerter gleichzeitig, Stichattacke, Agile Bewegung, etc.! Die gewählte Kombination von Perks bildet den individuellen Kampfstil. Wie du sehen kannst, läuft alles auf den Begriff Freiheit hinaus. Komischerweise ist Freiheit kein überall vorhandenes Element in der nach dem Krieg handelnden Geschichte des Spiels.
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RPGCodex:
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Im ersten Spiel bist du einer der Gefangenen, im zweiten Spiel driftete deine Rolle mehr dazu „Der Auserwählte“ zu sein, wie sieht das im dritten Spiel aus? Sollte ich erwarten die Welt im Alleingang zu retten oder ist der Einfluss meines Charakters auf die Spielwelt diesmal weniger bedeutend?
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KaiRo:
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Eigentlich begann der Drift zu Auserwählten in Gothic 1, als der namelose Held „Er der den Schläfer bezwang“ wurde, eine Ehre die nach den orkischen Prophezeihungen nur für den Einen vorgesehen war. Abgesehen von ein paar Dialogzeilen und einem dramatischen Showdown, haben wir dieses Thema in Gothic 2 kaum wieder aufgegriffen. Wir mochten die Idee, dass die übernatürlichen Eigenschaften des Helden hintergründige Storyelemente sind, die niemals wirklich an die Oberfläche treten. Der Spieler hat eine leichte Ahnung, dass etwas Großes vor sich geht, während er sich mit eher weltlichen Dingen, wie beispielsweise einem zerrütteten Königreich, beschäftigt. In Gothic 3 liegt der Fokus auf letzterem. Trotzdem der namenlose Held eine zentrale Figur ist, die am Ende die Story vorantreibt, lebt (oder eher stirbt) die Welt ohne ihn und sogar ohne eine wahrnehmbare Präsenz der Götter.
In jeder Hinsicht ist Gothic 3 keine One-Man-Show. Mitkämpfer zu finden und temporär Gruppen zu bilden ist ein Gameplay-Element, auf das wir mehr Wert gelegt haben, hauptsächlich weil wir die Freunde des namenlosen Helden einbinden wollten.
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RPGCodex:
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A propos Welten retten, gibt es zufällig alternative Enden, abhängig von den Taten und Entscheidungen meines Charakters?
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KaiRo: |
Wir wollen nicht zu viel verraten, deswegen hoffe ich, ein "Ja" wird reichen. Wenn nicht, kommt hier noch ein "Absolut". ;) |
RPGCodex:
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Es wurde gesagt, dass Gothic 3 sehr nichtlinear ist. Berücksichtigt man die storygesteuerte Beschaffenheit der ersten beiden Spiele, wie funktioniert dieses Konzept in Gothic 3?
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KaiRo:
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Die storygesteuerte Beschaffenheit mit nichtlinearem Gameplay zu verbinden ist in der Tat eine Herausforderung. Unsere ersten Versuche in Gothic 1 & 2 boten schon drei verschiedene Wege mit speziellen Quests für jede Charakterklasse. In Gothic 3 bringen wir das auf die nächste Stufe. Der namenlose Held kann die meisten Quests ohne die Einhaltung einer Reihenfolge bewältigen und die Welt reagiert darauf, aber das Spiel hat eine bestimmte logische Reihenfolge. Bildlich gesprochen, kann der Spieler theoretisch direkt zum großen roten Schalter laufen, der das Spiel beendet. Die Frage ist, wo ist dieser Schalter? Um ihn zu finden braucht der Held ein magisches Rote-Schalter-Such-Dingsbums. Um so ein Dingsbums zu finden, muss er mit jemandem reden der… und so weiter. Das führt zu einer natürlichen Reihenfolge der Ergeignisse, zugegebenermaßen einer linearen Entwicklung der Geschichte, aber es sieht für den Spieler keinesfalls künstlich aus. Neben diesem zentralen Faden gibt es viele Nebengeschichten und kleinere Quests, die vollkommen nichtlinear sind.
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RPGCodex:
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Erzähl uns was über die Fraktionen. Es wurde erwähnt, daß man mehr als einer von ihnen beitreten und ebenso eine Fraktion verlassen kann. Kannst du erläutern, wie das funktioniert? Außerdem, wieso habt ihr euch entschieden, euch vom Modell des "tritt einer Gilde bei und bleibe dort" entfernt? Gibt es orkische Fraktionen/Clans?
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KaiRo:
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Wir haben den Freiheitsgrad in den meisten Aspekten des Spiels erhöht. Um ein stimmiges Gameplay zu kreieren, benötigte das Gildenkonzept außerdem ein bisschen mehr Freiheit. Die Hauptidee ist, Grenzen in Möglichkeiten zu verwandeln. In den Vorgängern bedeutete der Beitritt zu einer Gilde, einzig in ein Drittel des Spieles eingezwungen zu sein. Deshalb mußte man das Spiel dreimal zu spielen, um einen Gesamteindruck zu bekommen. In Gothic 3 kann sich der Spieler die schönen Jobs rauspicken und mit mehr als einer Gilde symphatisieren oder mit keiner. Ob ihm eine Gilde ein Quest anbietet oder nicht, hängt nicht länger von der Zugehörigkeit zu dieser Gilde ab, sondern von ihrer Einstellung zum Spieler.
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RPGCodex:
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Es scheint mir, daß viele Eigenschaften optimiert und verbessert wurden. Was ist mit den Dialogen? Gibt es Platz für diplomatische Fähigkeiten in der Gothic-Welt?
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KaiRo: |
Diplomatie ist immer eine Option, wenn Gewalt fehlschlägt. Nein, das war nur Spaß. Andere RPG fügen neue Dialog-Optionen wie "Ich will dich nicht töten. Ich gebe dir 100 Goldstücke, wenn du dich dafür selbst umbringst. (überzeugendes Lächeln)" ein, unter der Bedingung, daß dein Charisma-Wert über 50% liegt und du den Gesprächigkeitsskill erlernt hast. Wir haben sowas in der Art nicht, bei uns gibt es die Diplomatie-Optionen direkt von Beginn an. Der namenlose Held hat sozusagen einen angeborenen Sinn für Diplomatie. |
RPGCodex:
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Wenn Diplomatie versagt, siegt der Kampf. Gibts irgendwelche Änderungen am Kampfsystem, und zwar andere als lediglich kosmetische, eine Axt anstelle eines Schwertes wählen zu können zum Beispiel?
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KaiRo:
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Ja, das Kampfsystem wurde verändert. Wir wollten es gleichzeitig leicht zugänglich und vielseitig haben und nach dem Urteil der ersten Testspieler hat es sie völlig zufriedengestellt. Da sich das neue Interface etwas von Gothic 2 unterscheidet, waren wir etwas besorgt darüber, ob wir nicht die starken Dinge des originalen Kampfsystems vernachlässigt haben. Glücklicherweise stärkten unsere Testspieler unser Vertrauen in das neue Kampfsystem mit Aussagen wie: "Zur Hölle mit Gothic 2, das rockt!"
Axt und Schwert waren schon immer unterschiedlich im Schaden, den sie verursachen und in der Möglichkeit, einen Schlag zu parieren. In Gothic 3 gibt es einen weiteren siginifikanten Unterschied: Du kannst mit zwei Schwertern gleichzeitig kämpfen, aber nicht mit zwei Äxten. Auf der anderen Seite hat die Axt einige schicke extra Moves wie eine umfassende Attacke gegen Feinde, die dich einkreisen.
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RPGCodex: |
Gibt es irgendwelche Chancen auf multiple Questlösungen? Wie ist die Position von Piranha Bytes zu diesem Designelement, das wir in den ersten beiden Teilen ja nicht gesehen haben? |
KaiRo: |
Erwähnte ich schon, daß wir den Schwerpunkt auf die Aktionsfreiheit gelegt haben? ;) Natürlich gilt das besonders für Quests. Alles was zählt, ist das Ergebnis und wenn alle erforderlichen Bedingungen erfüllt sind, wird der Quest als erfolgreich betrachtet werden, ohne Rücksicht darauf, wie dies erreicht wurde. |
RPGCodex: |
Wie behandelt Gothic 3 Entscheidungen und Konsequenzen? Wie wichtig sind Entscheidungen und was beeinflussen sie? Wird mein Charakter (nicht der Spieler) jemals einen Grund bekommen, eine vorher gemachte Wahl zu bedauern?
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KaiRo: |
In Gothic 3 stehen Entscheidungen an erster Stelle. Ja, es gibt großartige Schwertkämpfe, mächtige Magie, eine realitätsnahe Spielwelt... aber dennnoch sind Entscheidungen das Haupt-Spielelement. Der Spieler kann durch die Art, wie er Dinge bewältigt, buchstäblich die Welt verändern und die Geschichte beeinflussen. Die meisten Entscheidungen müssen im Bereich der menschlichen Beziehungen getroffen werden. Die Art wie der Spieler Andere behandelt, beeinflusst deren Einstellung zu ihm und deshalb hängt ihre Kooperationsbereitschaft von der Wahl der richtigen Worte ab. Mit einer geschickten Zunge kann der Held sogar ganze Städte zum Umsturz führen. Das kann natürlich auch auf ihn zurückfallen. Wenn er in der Gunst von jemanden fällt, wird er höchstwahrscheinlich keine nützlichen Tips oder lohnende Quests von ihm bekommen. Und ja, wenn die ganze Welt ihn tot sehen will, dürfte er letztendlich seine Entscheidungen bedauern. |